Es geschah an einem lauen Dienstagabend im vergangenen Juni. In Vilnius war die Luft trocken und angenehme 20 Grad warm. Ein perfekter Abend zum Radfahren. Im Sommer geht die Sonne in Litauens Hauptstadt spät unter, die Dämmerung war also noch nicht vorbei. Doch für einen 24 Jahre jungen Radfahrer, der auf der Fahrradspur der Teodoro-Narbuto-Straße fuhr, reichte das schwache Abendlicht leider nicht mehr: Er übersah das kleine, am Straßenrand verborgene Hinweisschild, das Radfahrer auffordert, sich links zu halten. Wer hier nicht reagiert, fährt in eine Treppe.
Und genau das geschah an jenem Abend. Der 24-Jährige stürzte und erlag wenig später seinen Verletzungen. Vilnius stand unter Schock: Eine Treppe mitten auf dem Fahrradweg!
„Ich kann es nicht fassen, dass Fahrradwege von Menschen geplant werden, die kein Fahrrad fahren. Leider sind schlecht und ohne Verstand geplante und gebaute Fahrradwege noch immer an der Tagesordnung“, schrieb Remigijus Šimašius, der Bürgermeister der Stadt, auf Facebook. Er war erst zwei Monate zuvor ins Amt gewählt worden und scheute sich nicht, dort Kritik zu üben, wo sie ihm angebracht schien. Doch er gab auch ein Versprechen: „Ich habe viele konkrete Pläne für diesen Bereich.“
Mithilfe eines Darlehens der EIB für ein groß angelegtes, fünfjähriges Projekt zum Ausbau der städtischen Infrastruktur in Vilnius nimmt sein Versprechen nun erste konkrete Formen an. Insgesamt sollen 410 Millionen Euro investiert werden – unter anderem in eine Reihe kleinerer Vorhaben an Schulen, Kinderkrippen und Kindergärten, Museen, öffentlichen Parks und anderen öffentlichen Flächen, Straßen und Gesundheitseinrichtungen.
Aber auch neue Fahrradwege mit einer Gesamtlänge von 17,4 Kilometern sind Teil des Projekts. Die Fahrradwege sollen zudem mit einer besseren Beschilderung und einem besseren Straßenbelag ausgestattet werden – auch auf der Teodoro-Narbuto-Straße, auf der sich der tödliche Unfall ereignet hat.
Zwei von drei Straßenlaternen abgeschaltet
Gintare Kavaliunaite arbeitet an der Europäischen Humanistischen Universität in Vilnius. Ein wesentlicher Grund, warum sie nicht mit dem Fahrrad fährt, ist, dass es nicht genügend Fahrradwege gibt, um sicher von A nach B zu gelangen. „Mit dem Fahrrad muss man häufig stark befahrene Straßen nutzen, und die Autofahrer in Vilnius sind nicht sehr rücksichtsvoll“, sagt sie. „Die vorhandenen Fahrradwege sind meist auf den Gehwegen aufgezeichnet. Das ist weder für die Radfahrer noch für die Fußgänger eine gute Lösung. Und sie enden häufig unvermittelt an unerwarteten Stellen.“
Vasco Amaral Cunha ist EIB-Kreditreferent für den öffentlichen Sektor in den baltischen Staaten und Polen. Er erläutert, welche Bedeutung das Projekt für die litauische Hauptstadt hat: „Die Finanzkrise hat Vilnius hart getroffen. In den vergangenen Jahren hatte die Stadt mit einer sehr schwierigen Haushaltslage zu kämpfen, und ich freue mich sehr, dass wir Vilnius helfen können, die finanzielle Situation zu verbessern.“ Die neue Stadtverwaltung bemüht sich, die Dinge in den Griff zu bekommen. Sie will das Darlehen der EIB auch als Argument für die Refinanzierung teurerer kurzfristiger Verbindlichkeiten gegenüber Geschäftsbanken nutzen.
Vor einigen Jahren musste die Stadt die Zahlungen an ihre Lieferanten aussetzen. Viele Einwohner können sich noch daran erinnern, dass die Stadtverwaltung während der Finanzkrise aus Kostengründen beschloss, zwei von drei Straßenlaternen abzuschalten. „Dadurch wurde unsere Stadt sehr düster, und ich fühlte mich nicht mehr geborgen und sicher“, berichtet Gintare Kavaliunaite.
Sigitas Mocevičius ist Leiter der stadteigenen Gesellschaft Vilniaus gatvių apšvietimo elektros tinklai, die für die Straßenbeleuchtung zuständig ist. Ihm zufolge arbeitet das heutige Beleuchtungssystem extrem ineffizient: 90 Prozent der Straßenlampen sind Natriumdampflampen. Ganz wie das gelblich leuchtende (und hippe!) Ostberlin im Vergleich zum neongrellen Westberlin. Die vor mehr als 16 Jahren installierten Leuchtmittel haben das Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer erreicht und belasten die Umwelt. Auch die Laternenmasten sind veraltet. Ein Drittel ist mehr als 30 Jahre alt. Sie stellen eine echte Gefahr für Leib und Leben dar, da sie jederzeit umfallen können – wenngleich die Stadt die am stärksten beschädigten Masten mittlerweile ausgetauscht hat, erklärt Mocevičius.